Dass Europa gewaltig hochrüstet, ist notwendig, aber trotzdem nicht ausreichend. Denn ohne einen fundamentalen Mentalitätswechsel nützt Rüstung nichts.
Dass die Staaten Europas in den nächsten Jahren sehr, sehr viel Geld ausgeben werden, um ihre lang arg vernachlässigten Armeen wieder kriegsfähig zu machen, ist angesichts einer gerade stattfindenden Rückkehr zur Geopolitik, in der im Wesentlichen das Recht des Stärkeren gilt, vernünftig und sogar dringlich geboten. Alles andere wäre grob fahrlässig, was natürlich auch und besonders für Neutrale wie Österreich gilt.
Dabei stellen sich zwei Fragen, die von der Politik eher großräumig umgangen werden, die vielleicht beantwortet werden sollten, bevor Gebirge von Geld in neue militärische Hardware gesteckt werden.
Da ist einmal der Umstand, dass Europa schon jetzt über viel mehr Kriegsmaterial verfügt, als gemeinhin angenommen wird. So verfügen die Staaten Europas plus dem Vereinigten Königreich plus der Ukraine beispielsweise über 2191 Kampfflugzeuge, gegenüber 1456 der USA und 1224 Russlands, über 8642 Panzer im Vergleich zu 2640 der USA und 2730 Russlands; und 2,7 Millionen europäischen Soldaten stehen 1,3 Millionen der USA und 1,1 Millionen Russlands gegenüber. (Aus einer Analyse des österreichischen Militärexperten Gerald Karner, eingemottete Geräte inbegriffen.)
Das heißt: Offenbar ist nicht so sehr ein eklatanter Mangel an Kriegsgerät das Problem der Europäer, sondern Ineffizienzen, Mehrgleisigkeiten und lähmende Organisationsstrukturen, die dazu führen, dass die Kampfkraft dieses (relativ) vielen Materials nicht einmal annähernd auf den Boden gebracht werden kann.
Es wäre daher vermutlich ganz schlau, nicht einfach noch mehr Panzer, noch mehr Flieger, noch mehr Geschütze zu dieser jetzt schon recht umfangreichen Kollektion militärischer Hardware hinzuzufügen, sondern gleichzeitig auch dafür zu sorgen, dass all dieses Kriegsgerät effizienter als bisher eingesetzt werden kann. Was angesichts der nationalen Empfindsamkeiten in Sachen Landesverteidigung gelinde gesagt nicht ganz einfach werden wird.
»Jüngeren Menschen ist die Vorstellung, für das Vaterland sein Leben im Krieg zu riskieren und allenfalls zu verlieren, fremd geworden.«
Noch schwieriger zu beantworten sein wird die Frage, wer im Fall des Falles mit diesen Gerätschaften in den Krieg ziehen soll. Denn die Gesellschaften vor allem des westlichen Europa sind durch und durch „postheroisch“. Das heißt, dass den meisten vor allem jüngeren Menschen die Vorstellung, für das Vaterland sein Leben im Krieg zu riskieren und allenfalls zu verlieren, völlig fremd geworden ist. Damit verbunden ist ein ausgeprägtes Fremdeln mit dem Militär und allem Militärischen. Wer als Beruf „Soldat“ angibt, dürfte auf dem Beziehungsbasar ungefähr die gleichen Chancen haben wie der Pianist in einem Bordell. Nur eine Minderheit der jungen Männer ist in den meisten Umfragen, wenig überraschend, bereit, den Staat „mit der Waffe in der Hand“ zu verteidigen.
Man kann das sympathisch, zivilisiert und grundvernünftig finden – nur Kriege sind mit einer derart postheroischen Gesellschaft wohl nicht zu gewinnen. Es fällt schwer, diesen unsympathischen Gedanken zu Ende zu denken, aber wenn unsere europäischen Gesellschaften nicht wieder ein bisschen bellizistischer, weniger postheroisch und damit kriegsfähiger werden, können wir uns die Trillionen für neues Kriegsgerät gleich sparen.
Wie kommt man zu diesem gleichsam kollektiven Gesinnungswandel? Noch dazu in eine Richtung, die viele von uns intuitiv ablehnen und ganz und gar toxisch finden? Militärs reden da gern von der Notwendigkeit einer entsprechenden „politischen Kommunikation“. Zu Deutsch: Alte Männer, die das Glück hatten, aufgrund ihres Geburtsjahres Krieg höchstens im Kino erleben zu müssen, sollen nun jungen Männern mit lackierten Fingernägeln und Perlenketten um den Hals erklären, warum die bitte gegebenenfalls ihr Leben an der Front riskieren sollen. Denn darum geht es letzten Endes.
Es ist eine gewöhnungsbedürftige Vorstellung, aus verschiedenen Gründen, aber anders wird es nicht gehen, steht zu befürchten. Eine Politik, die meint, die Kriegsfähigkeit eines Landes sei bloß eine Frage des Geldes und nicht auch des Wehrwillens seiner jungen Generation, ist eher Teil des Problems denn der Lösung.